mcbb.jpg

Krankenhausreform 2026: Stimmen aus Medizin und Politik

Mit dem Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) will die Bundesregierung die im vergangenen Jahr gestartete Krankenhausreform auf Kurs bringen. Der Kabinettsentwurf, der Anfang Oktober beschlossen wurde, soll die bestehende Krankenhausreform „praxistauglicher“ machen und bis 2026 in Kraft treten. Das Ziel: Mehr Qualität in der Patientenversorgung.

Künftig sollen 61 Leistungsgruppen die stationäre Versorgung strukturieren: von der Inneren Medizin bis zur Kinderchirurgie. Krankenhäuser dürfen bestimmte Behandlungen nur dann anbieten, wenn sie die dafür definierten Qualitäts- und Ausstattungskriterien erfüllen. Vorbild ist das nordrhein-westfälische Modell der Krankenhausplanung. Ab 2027 sollen die Länder diese Systematik bundesweit übernehmen, ab 2028 folgt schrittweise die neue Vorhaltefinanzierung, die Kliniken unabhängiger von Fallzahlen machen soll.

Doch während die Bundesregierung von einem modernen und bedarfsgerechten Versorgungssystem spricht, mehren sich die kritischen Stimmen. Fachleute aus Medizin, Wissenschaft und Krankenhausverbänden warnen vor einem gefährlichen Spagat zwischen Qualitätszielen, wirtschaftlichem Druck und der Realität in vielen Kliniken.

Warum Fachleute den Reformkurs in Frage stellen

Die Krankenhausreform soll mehr Qualität und Spezialisierung in die stationäre Versorgung bringen, so das zentrale politische Versprechen. Doch viele Fachleute befürchten, dass der neue Kabinettsentwurf die ursprünglichen Ziele verwässert. Zwar bleibt das Grundprinzip bestehen, Qualität durch verbindliche Leistungsgruppen und Mindeststandards zu sichern, doch die vorgesehenen Ausnahmen und Erleichterungen wecken Zweifel, ob die Reform ihr ursprüngliches Niveau halten kann.

Tom Bschor, ehemaliger Leiter der Regierungskommission Krankenhaus, sieht die neuen Regelungen kritisch. Seiner Einschätzung nach führen sie „ausnahmslos zu Abschwächungen der Qualitätsvorgaben“. Besonders kritisch sieht er die Möglichkeit, dass Länder Krankenhäuser als „bedarfsnotwendig“ einstufen können, auch wenn diese die geforderten Kriterien nicht erfüllen. 

In solchen Fällen reicht eine Kooperation mit anderen Häusern aus, um die Vorgaben formal einzuhalten. „Kooperation bedeutet im Zweifel Nichterfüllung“, warnt Bschor. Praktisch könne das bedeuten, dass ein Krankenhaus mit nur einem Facharzt eine Neurochirurgie betreibt, während die übrigen Fachärzt:innen in einer anderen Klinik tätig sind.

Auch Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, äußert Zweifel an den geplanten Ausnahmeregelungen. Er spricht von einem „Aufweichungsgesetz“, das den Ländern zu viel Spielraum gebe und betont, dass die Länder in den vergangenen Jahrzehnten ihre Aufgabe der Krankenhausplanung oft nicht konsequent wahrgenommen hätten. Nun bestünde die Gefahr, dass die Qualität der Versorgung erneut zugunsten lokaler Interessen zurücktrete. 

„Schwierig ist, dass die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder jetzt fordern, dass noch einmal zurückgerudert werden soll und vieles genauso bleiben kann, wie es ist“, sagt Scholz. Damit werde das eigentliche Ziel der Reform – eine einheitliche, qualitätsorientierte Krankenhausstruktur – unterlaufen. 

Etwas differenzierter blickt Karin Overlack, Geschäftsführerin des Herz- und Diabeteszentrums Bad Oeynhausen, auf die Neuregelungen. Sie hält die Definition der Fachkliniken, wie sie im Kabinettsentwurf vorgesehen ist, grundsätzlich für gelungen. Die spezialisierte Ausrichtung nach Krankheitsbildern oder Personengruppen sei „schon sehr gut gedacht“. Wichtig sei aber, dass Fachkliniken tatsächlich einen relevanten Versorgungsanteil in ihrem Bereich leisten. Kleinst- oder Gelegenheitsversorger hätten hier keinen Platz. Gleichzeitig räumt sie ein, dass der Begriff „relevanter Anteil“ bislang nicht eindeutig definiert ist und Interpretationsspielräume lässt.

Kliniken zwischen Strukturwandel und Kostendruck

Die Reform verfolgt das Ziel, die Krankenhauslandschaft stärker nach Qualität zu steuern. Doch wie verbindlich die Kriterien künftig wirklich sind, hängt maßgeblich von den Ländern ab. Der neue Kabinettsentwurf erlaubt ihnen, von Qualitätsvorgaben abzuweichen, wenn sie eine Einrichtung als „bedarfsgerecht“ einstufen. Was als Flexibilität gedacht ist, birgt zugleich die Gefahr, dass regionale Eigeninteressen die Reform verwässern.

Tom Bschor warnt in diesem Zusammenhang vor einem „Schlupfloch“, das es kleineren Häusern ermöglichen könnte, die Anforderungen zu umgehen. Besonders problematisch sei, dass es keine klare Definition von „Fachklinik“ mehr gebe. Dadurch könne nahezu jedes kleinere Krankenhaus eine Sonderrolle beanspruchen, ohne die geforderten Qualitätsstandards tatsächlich zu erfüllen.

Auch Constanze Weber, Ärztin in Weiterbildung und Sprecherin des Bündnisses Junge Ärztinnen und Ärzte, sieht in den erweiterten Ausnahmeregelungen Chancen und Risiken zugleich. Sie betont, die Regelung könne helfen, Versorgungslücken in ländlichen Regionen zu verhindern und die Krankenhausplanung an regionale Strukturen anzupassen. Zugleich warnt sie davor, dass „eine uneinheitliche Anwendung der Ausnahmeregelungen das eigentliche Ziel der Reform abgeschwächt werden” könne. 

Parallel zu den Debatten über Zuständigkeiten und Qualitätsvorgaben zeigt sich: Die Reform trifft ein System, das finanziell und strukturell bereits am Limit arbeitet. Mit dem Anfang November beschlossenen Sparpaket von rund zwei Milliarden Euro will das Bundesgesundheitsministerium die gesetzlichen Krankenkassen entlasten. Für die Kliniken bedeutet das jedoch neue Einschnitte.

Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), spricht von einem „fatalen Signal“. Die zugesagten Hilfen seien längst fest eingeplant gewesen, nun entstünde „eine riesige Lücke“. Sie warnt, dass bei planbaren Eingriffen bald Wartelisten drohen könnten und die Kürzungen „Krankenhausstandorte ganz bewusst gefährden“. Seit 2020 hätten bereits mehr als 70 Kliniken Insolvenz angemeldet, allein im vergangenen Jahr betrugen die Verluste der Krankenhäuser 12,7 Milliarden Euro.

Auch Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), mahnt angesichts der Sparpolitik eine ehrliche Debatte an. Sparen sei notwendig, aber dürfe nicht „wie eine offene Feldschlacht ausgetragen“ werden, weil das Vertrauen in die sozialstaatliche Ordnung auf dem Spiel stehe. 

Für die Kliniken bedeutet der Reformprozess damit einen Spagat zwischen Transformationsdruck und finanzieller Unsicherheit. Während sie Strukturen umbauen und neue Qualitätsvorgaben erfüllen sollen, fehlen vielerorts die Mittel, um diesen Wandel zu stemmen. Neumeyer fordert deshalb eine „radikale Entbürokratisierung“ und eine Reform, die nicht nur auf dem Papier funktioniert, sondern die Realität in den Häusern berücksichtigt.

Ob die Krankenhausreform am Ende hält, was sie verspricht, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Zwischen Qualitätsanspruch, finanzieller Belastung und föderalen Spielräumen ist sie zu einem Balanceakt geworden, der den gesamten Versorgungssektor betrifft. 

Diese Seminare und Weiterbildungen könnten Sie interessieren:
Intensivseminar Krankenhausleitung für Ärztliche Direktor:innen und Chefärzt:innen
Intensivseminar Krankenhausmanagement
mibeg Lunchtime Talks