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KHAG kompakt: Neuer Zeitplan, neue Regeln, neue Reibungen

Am 8. Oktober 2025 hat das Bundeskabinett den Entwurf des Krankenhausreform­anpassungsgesetzes (KHAG) beschlossen. Die Botschaft aus dem Bundesgesundheitsministerium: Die großen Linien der Reform bleiben erhalten, zugleich sollen Länder und Kliniken mehr Flexibilität bekommen, um die Versorgung vor Ort praxistauglich zu organisieren. Der Entwurf geht nun in den parlamentarischen Prozess. 

Schon in den Stunden nach dem Beschluss zeigte sich, wie aufgeladen die Debatte bleibt. Während die Bundesregierung von einem realistischen „Praxischeck“ spricht, der insbesondere ländlichen Regionen hilft, warnen Kassen vor neuer Bürokratie – und Klinikverbände beklagen, dass die Länder nicht die erhoffte Planungshoheit erhalten. Dass ausgerechnet Grundsatzfragen wie Qualitätsvorgaben, Ausnahmen und Datenpflichten die Fronten bestimmen, überrascht kaum: Hier entscheidet sich, wie schnell und wie verlässlich die Strukturreform wirklich ankommt. 

Mehr Zeit – aber mit Auflagen

Kern der Anpassung ist eine verschobene Umstellung des Finanzierungssystems: Die Jahre 2026 und 2027 werden als budgetneutral definiert, 2028/2029 gelten als Konvergenzphase, ab 2030 soll das neue System voll wirksam sein. Damit erhalten Kliniken Zeit, Personal- und Strukturkriterien aufzustellen oder über Kooperationen zu erfüllen – allerdings ohne den Anspruch, die Qualitätsorientierung zu verwässern. So lautet jedenfalls die Linie der Bundesregierung. 

Auch bei den Leistungsgruppen wird nachgeschärft: Die Zahl wird von 65 auf 61 reduziert. Das ist keine Revolution, aber ein wichtiges Signal an die Planungspraxis: weniger Komplexität, klare Mindestanforderungen – und der Auftrag, Leistungen zu bündeln, wo es medizinisch und wirtschaftlich sinnvoll ist. 

Ausnahmen, Kooperationen, 2-Kilometer-Regel

Besonders umkämpft ist die Frage, wie weit Ausnahmen von Qualitätskriterien reichen dürfen. Der Kabinettsentwurf spricht den Ländern diese Möglichkeit weiterhin zu, befristet auf in der Regel drei Jahre – und im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen. Das schafft Spielräume, aber eben nicht schrankenlos: In der Praxis werden Länder und Kassen gemeinsam abwägen müssen, ob eine befristete Abweichung der Versorgung nützt oder nur Probleme vertagt. Kooperationen zwischen Häusern bleiben ausdrücklich vorgesehen; die bekannte 2-Kilometer-Regel für Partnerstandorte wird bestätigt. Für kleinere Standorte kann genau diese Verzahnung entscheidend sein, um Personal- und Geräteanforderungen zu erfüllen. 

Der große Topf – und was er wirklich leistet

Der Krankenhaustransformationsfonds ist mit 50 Milliarden Euro hinterlegt; die Finanzierung wird zugunsten des Bundes neu austariert. In Summe sollen 29 Milliarden Euro vom Bund und 21 Milliarden Euro von den Ländern kommen – gestaffelt über mehrere Jahre. Für Kliniken ist das ein Doppel-Signal: Ja, Transformation wird finanziell flankiert. Aber nein, das ersetzt nicht die Pflicht, jeden Umbau – vom Notfallzentrum bis zur Ambulantisierung – mit belastbaren Business-Cases, Qualitätszielen und messbaren Ergebnissen zu hinterlegen.

Klinikatlas, Meldepflichten – bleibt die Bürokratie?

Ein Reizthema bleibt der Klinikatlas. Obwohl die Ministerin das Instrument zuvor kritisch gesehen hatte, bleibt der Atlas im KHAG-Kontext zunächst weiter in der Spur. Für Krankenhäuser bedeutet das: Datenqualität, Reporting und Schnittstellen sind keine Kür, sondern Pflicht – und zwar doppelt, wenn Meldewege (etwa Richtung Medizinischer Dienst) nicht sauber gebündelt sind. Genau hier entzündet sich Kritik: Von Bürokratieabbau könne keine Rede sein, heißt es aus Verbänden. 

Positionscheck: Verbände, Länder, Bund

Die Kassen senden gemischte Signale. Einerseits begrüßen sie, dass die Finanzierung des Transformationsfonds endlich klarer wird; andererseits warnen sie vor „Sonderlocken“ und zusätzlicher Bürokratie, wenn Länder und einzelne Regionen eigene Wege gehen. Die Mahnung: Zurück zum ursprünglichen Qualitätsziel der Reform. 

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hält dagegen, die Anpassungen ließen die zentralen Strukturprobleme ungelöst und bremsten die Länder dabei aus, tragfähige Versorgungsnetze zu planen. Der Tenor: Mehr echte Planungshoheit, weniger Detailsteuerung aus Berlin – und vor allem klare, praxistaugliche Kriterien, die im Alltag bestehen. 

Dazwischen positionieren sich Akteure wie die Hochschulmedizin: Universitätsklinika sehen die erweiterte Förderfähigkeit im Transformationsprozess eher positiv, mahnen aber an, dass Qualitätsstandards nicht zur Verhandlungsmasse werden dürfen. Politisch ist das ein schmaler Grat – mehr Flexibilität ohne Qualitätsverlust. 

Management-Fokus: Prioritäten in den Konvergenzjahren

Für Vorstände und Direktionen beginnt jetzt die operative Übersetzung: Welche Leistungsgruppen sind strategisch gesetzt, welche Mindestkriterien fehlen – und lässt sich die Lücke in drei Jahren real schließen? Kooperationsmodelle gewinnen an Bedeutung, nicht als Notlösung, sondern als strukturelles Design: gemeinsame Geräteparks, abgestimmte Rufdienste, vernetzte Notfallstrukturen. Mit der 2-Kilometer-Regel schafft das Gesetz einen engen, aber brauchbaren Korridor für solche Lösungen. Gleichzeitig bleibt die Personalseite anspruchsvoll: Wenn Fachärztinnen und Fachärzte nur begrenzt mehreren Leistungsgruppen zugeordnet werden dürfen, erzwingt das die frühzeitige Personalplanung – inklusive Weiterbildung, Recruiting und smarter Dienstmodelle. 

Auch die Datenarbeit wird zur Führungsaufgabe. Wer heute Prozesse und Ergebnisqualität nicht konsistent misst, wird morgen Probleme bekommen – beim Klinikatlas, bei Prüfungen, bei Mindestmengen. Der vermeintliche „Bürokratieblock“ lässt sich nur produktiv wenden, wenn Häuser ihre Datenkompetenz konsequent aufbauen: eindeutige Definitionen, durchgängige Datenflüsse, klare Verantwortlichkeiten. Das klingt trocken, ist aber Wettbewerbsvorteil – und im Zweifel die Eintrittskarte für Leistungsgruppen, die ohne sauberes Reporting nicht haltbar sind. 

Ein realistischer Blick nach vorn

Der Kabinettsbeschluss ist kein großer Wurf – aber er ordnet die Spielfläche neu. Mehr Zeit hilft, mehr Ausnahmen können im Einzelfall Versorgung sichern, mehr Kooperation verbessert die Chancen kleinerer Standorte. Gleichzeitig werden Qualitätsgrenzen nicht aufgehoben, sondern nur temporär flexibilisiert. Und weil Melde- und Transparenzanforderungen bleiben, entscheidet sich vieles an der Umsetzungsqualität in den Häusern selbst: Wer jetzt klare Roadmaps, belastbare Partnerkonzepte und sauberes Datenmanagement etabliert, kommt durch die Konvergenzjahre besser – und vermutlich auch mit weniger Reibungsverlusten. 

Politisch wird der Ton rau bleiben. Die Länder drängen auf weitreichendere Freiheiten, Kassen auf klare Qualitätsleitplanken, Kliniken auf weniger Bürokratie. Genau zwischen diesen Polen will das KHAG balancieren. Ob das gelingt, entscheidet sich nicht im Kommentar, sondern in der Praxis – auf Station, im OP, in der Notaufnahme. Dort, wo Strukturreform am Ende kein Papier ist, sondern Versorgung. 

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