Verhaltenbb.jpg

Pflege im Wandel: Befugniserweiterung soll mehr Verantwortung und weniger Bürokratie bringen

Der Bundestag hat das Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege verabschiedet. 

Dadurch sollen Pflegefachpersonen deutlich mehr Verantwortung tragen können, indem ihnen eigenständige Handlungsspielräume eingeräumt werden. Auch durch die Entbürokratisierung soll Pflegekräften mehr Zeit für die Versorgung von Patient:innen zur Verfügung stehen. Ein wichtiger Schritt, angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels sowie der wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen.

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) betont, Pflegekräfte könnten „viel mehr als sie bislang dürfen“ und sollen künftig Leistungen übernehmen, die bisher Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren. Das Gesetz steht damit nicht nur für einen rechtlichen Wandel, sondern auch für einen kulturellen Umbruch: Pflege soll stärker als eigenständige Profession mit echter Entscheidungskompetenz verankert werden.

Was das neue Gesetz vorsieht

Mit dem neuen Gesetz stärkt der Bundestag die Eigenverantwortung der Pflegeprofession und will gleichzeitig den bürokratischen Aufwand im Pflegealltag reduzieren. Kern der Reform ist, dass entsprechend qualifizierte Pflegekräfte künftig bestimmte heilkundliche Tätigkeiten eigenständig durchführen dürfen, die bislang Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren, etwa in den Bereichen Diabetesmanagement, chronische Wunden oder Demenzversorgung.

Welche Leistungen dies umfasst, soll eine Kommission der gemeinsamen Selbstverwaltung bestimmen. Grundlage für diese Entscheidung wird ein sogenannter „Muster-Scope of Practice“, einer Art Mustervorgabe, die den Leistungsumfang bestimmt. Um diese neuen Befugnisse zu nutzen, sollen Pflegefachpersonen künftig entweder im Rahmen einer hochschulischen Pflegeausbildung oder über bundesweit einheitliche Weiterbildungen zusätzliche heilkundliche Kompetenzen erwerben können. 

Wie Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats betont, reichen die neuen Kompetenzen allein nicht aus: Entscheidend wird sein, dass sie auch finanziert, abrechenbar und klar geregelt werden. 

Ein weiterer Teil des Gesetzes ist die Vertretung der Pflegeberufe in bundesweiten Entscheidungsgremien, um Pflege künftig verbindlicher in gesundheitspolitische Prozesse einzubinden. In der Gesamtschau versteht sich das Gesetz als Startpunkt einer strukturellen Neuausrichtung, das erstmals die rechtliche Grundlage dafür schaffen soll, dass Pflegefachpersonen als eigenständige, qualifizierte Akteur:innen im Gesundheitswesen anerkannt werden.

Reaktionen aus Politik und Praxis

Die politischen und fachlichen Reaktionen auf das Gesetz fallen vielschichtig aus.

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) betont, dass Pflegekräfte bereits viel mehr können, als sie bislang dürfen. So sollen sie künftig eigenständig Aufgaben übernehmen, die bisher Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren. Für sie bedeuten mehr Befugnisse, dass auch der Beruf attraktiver wird.

Auch die CDU-Abgeordnete Anne Janssen äußert sich positiv. Den Menschen, die Tag und Nacht Verantwortung tragen, werde endlich der Rücken gestärkt, so Janssen. Pflegefachkräfte erhielten nun größere Handlungsspielräume.

Grüne und Linke sehen die Neuerungen dagegen kritischer. Simone Fischer von den Grünen lobt zwar den Ansatz, bemängelt jedoch, dass das Gesetz nicht weit genug gehe. Sie spricht von halbherzigen Regelungen, die weiterhin an ärztlicher Delegation festhalten und somit nicht weit führen. Ähnlich sieht es Evelyn Schötz von den Linken. Sie nennt das Gesetz eine „Teilzeitreform“. Ihrer Meinung nach bleibe die Pflege weiterhin zu sehr an die Medizin gebunden und werde nicht als eigenständiger Beruf anerkannt. 

Von Seiten der Krankenhaus- und Kassenvertreter:innen kommen ähnlich differenzierte Töne. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), sieht im Gesetz einen folgerichtigen Schritt, um Pflegeberufe attraktiver zu machen, doch der Bürokratieabbau müsse konsequenter angegangen werden. Laut ihr müsse die Politik dafür sorgen, Doppel- und Mehrfachdokumentation und weitere Hürden stärker abzubauen.

Viele Akteur:innen sehen das Gesetz als Schritt in die richtige Richtung, aber noch weit entfernt vom Ziel. Es öffne neue Türen für eine selbstbewusste, eigenständige Pflege, doch ob diese in der Praxis auch durchschritten werden, hängt von der konkreten Umsetzung, der Finanzierung und der Bereitschaft aller Beteiligten ab, eingefahrene Strukturen zu verändern.

Finanzierung als Schlüssel zur Umsetzung

Mit der erweiterten Verantwortung der Pflege rückt auch die Frage in den Fokus, wie diese neuen Leistungen finanziert und vergütet werden. Viele Expert:innen betonen: Ohne klare Finanzierungsmechanismen bleibt die Reform ein Konzept auf dem Papier. 

Pflege ist längst ein relevanter ökonomischer Faktor im Gesundheitssystem. Die Gehälter in der Kranken- und Altenpflege liegen heute im oberen Bereich der Ausbildungsberufe, dennoch fehlt vielerorts Personal. Der Grund liegt weniger im Einkommen, sondern in den Rahmenbedingungen. Zu wenig Gestaltungsspielraum, zu hohe Bürokratie, zu geringe Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Genau hier setzt das neue Gesetz indirekt an: Pflege soll dort Verantwortung übernehmen dürfen, wo sie auch Wert schafft und diese Leistung muss sich künftig auch wirtschaftlich abbilden.

Damit sich Pflege für alle lohnt, verlangt es zum einen, dass Pflegefachpersonen stärker nachvollziehen können, wie wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen die Versorgung steuern. Zum anderen müssen sie Anreizsysteme in den Budgetverhandlungen mitgestalten. 

Hinzu kommt, dass die Pflege auf Bundesebene bei der Gestaltung des DRG-Systems und der Pflegebudgets kaum beteiligt ist. In den meisten Einrichtungen nehmen Pflegedirektorinnen und -direktoren nicht regelmäßig an Budgetverhandlungen mit Krankenkassen teil, während ärztliche Vertreter:innen dort fest verankert sind. 

Diese strukturelle Schieflage führt dazu, dass pflegerische Perspektiven in finanziellen Aushandlungen oft fehlen und wirtschaftliche Entscheidungen ohne pflegefachliche Expertise getroffen werden. Um echte Gleichberechtigung zu erreichen, braucht es mehr Transparenz, Zugang zu relevanten Daten und verbindliche Beteiligungsrechte für die Pflege. 

Fazit

Die Befugniserweiterung markiert einen Wendepunkt im Selbstverständnis der Pflege. Zum ersten Mal erhält die Profession die Chance, ihre fachliche Kompetenz auch rechtlich zu leben und Verantwortung eigenständig zu tragen. Doch die Reform ist kein Selbstläufer: Entscheidend wird sein, wie schnell Qualifikationswege geschaffen, Finanzierungsfragen geklärt und bürokratische Hürden abgebaut werden.

Wenn es gelingt, Verantwortung, Kompetenz und Vergütung in Einklang zu bringen, kann Pflege nicht nur entlastet, sondern auch aufgewertet werden. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Befugniserweiterung nicht nur ein Symbol, sondern ein Schritt hin zu echter Augenhöhe im Gesundheitswesen.

Diese Seminare und Weiterbildungen könnten Sie interessieren:
Intensivseminar Krankenhausleitung für Pflegedirektor:innen 
Intensivseminar Krankenhausmanagement
Politische Kompetenz für leitende Pflegekräfte