Verhaltenbb.jpg

Psychische Gesundheit im Blick – wie Führungskräfte Bewusstsein schaffen können

Am 10. Oktober – dem World Mental Health Day – steht weltweit die mentale Gesundheit im Mittelpunkt. Für Führungskräfte ist dieser Tag ein guter Anlass, innezuhalten: 

Wie geht es eigentlich den Menschen in meinem Umfeld – und mir selbst?

Psychische Erkrankungen sind längst keine Randerscheinung mehr, sondern ein zentrales Thema der Arbeitswelt. Und sie brauchen mehr als wohlmeinende Worte – sie brauchen Bewusstsein, Haltung und konkrete Strukturen.

Warum psychische Gesundheit im Arbeitskontext wichtig ist?

Zahlen, die aufmerksam machen

  • In Deutschland leiden rund 28 % der Erwachsenen innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung.
  • Rund 15 % der Arbeitsunfähigkeitstage sind auf psychische Erkrankungen zurückzuführen.
  • Weltweit gehen durch Depressionen und Angststörungen jährlich etwa 12 Milliarden Arbeitstage verloren.
  • Eine McKinsey-Studie zeigt: Mehr als ein Drittel der Beschäftigten fühlt sich dauerhaft mental erschöpft.
  • Auch Führungskräfte selbst sind zunehmend betroffen – hohe Verantwortung, Dauererreichbarkeit und Entscheidungsdruck fordern ihren Preis.

Diese Zahlen zeigen: Mentale Gesundheit ist ein Wirtschaftsfaktor, ein Beziehungsthema – und ein Führungsthema. Sie betrifft das Fundament von Leistungsfähigkeit, Motivation und Vertrauen im Team.

Früh erkennen statt spät reagieren

Führung bedeutet nicht nur, zu unterstützen, wenn Belastungen sichtbar werden, sondern auch frühzeitig hinzusehen, bevor sie sich verfestigen. Denn psychische Belastung ist keine Momentaufnahme – sie entsteht im Alltag, in Kommunikation, in Strukturen.

Früherkennung ist kein medizinischer Begriff, sondern eine Führungsaufgabe: Signale wahrzunehmen, die auf Überforderung, Rückzug oder Erschöpfung hinweisen – und ins Gespräch zu kommen, bevor Schweigen entsteht.

Solche Warnsignale sind oft leise und indirekt: veränderte Stimmung, Konzentrationsprobleme, Gereiztheit, Rückzug, zunehmende Fehler oder Konflikte im Team. Sie müssen nicht immer auf eine Erkrankung hindeuten – aber sie verdienen Aufmerksamkeit.

Hier beginnt der Kern von mentaler Gesundheit in der Führung: das Unsichtbare wahrzunehmen, bevor es Wirkung zeigt.

Was ist das Unsichtbare?

In vielen Organisationen gibt es Themen, über die nicht gesprochen wird – etwa Überforderung, Konflikte, Enttäuschungen oder Ängste. Oft bleiben sie unausgesprochen, weil niemand den Anfang machen will, weil Zeit fehlt oder weil Unsicherheit herrscht, wie man damit umgehen soll.

Doch gerade das, was nicht gesagt wird, wirkt. 

Ungeklärte Erwartungen, unterschwellige Spannungen oder nicht adressierte Belastungen zeigen sich indirekt: in gereizten Tonlagen, in Rückzug, Zynismus oder schleichendem Leistungsabfall. Mit der Zeit entstehen stille Dynamiken, die an der Teamkultur zehren – und letztlich auch an der psychischen Gesundheit.

Führung bedeutet, Räume für ehrliche Gespräche zu schaffen: Nicht alles muss sofort gelöst werden – aber vieles will gesehen werden. Ein Satz wie „Gibt es etwas, das im Moment unausgesprochen bleibt?“ kann bereits viel bewegen.

Mentale Gesundheit zeigt sich selten offensichtlich. Sie spiegelt sich in Stimmungen, Zwischentönen und kleinen Gesten. Wer führt, sollte lernen, diese Signale wahrzunehmen – ohne sie sofort zu bewerten.
Achtsamkeit heißt in diesem Sinne nicht, Probleme „wegzumoderieren“, sondern präsent zu bleiben für das, was unter der Oberfläche wirkt. Manchmal ist das wertvollste Führungsinstrument schlicht die Bereitschaft, innezuhalten und zuzuhören.

Mental Health First Aid – Erste Hilfe für die Psyche

Ein praxisnaher Weg, Awareness in Organisationen zu fördern, ist das Programm Mental Health First Aid (MHFA).
Es orientiert sich an der klassischen Ersten Hilfe, nur mit Fokus auf psychische Gesundheit. Teilnehmende lernen, Warnsignale zu erkennen, Gespräche zu führen und Betroffene an professionelle Stellen weiterzuvermitteln – ohne selbst therapeutisch tätig zu werden.

In Deutschland wird das Programm von der Katholischen Hochschule NRW koordiniert und bietet Schulungen für Unternehmen an. Auch große Arbeitgeber wie Microsoft Deutschland haben MHFA-Trainings eingeführt, um Mitarbeitende zu befähigen, auf Kolleginnen und Kollegen in psychischen Krisen empathisch zu reagieren.

Für Führungskräfte ist ein solches Training besonders wertvoll: Es stärkt die Fähigkeit, Anzeichen frühzeitig zu erkennen, angemessen zu reagieren und Unsicherheiten abzubauen.

Es geht dabei nicht um Diagnosen, sondern darum, präsent und handlungsfähig zu bleiben, wenn jemand Unterstützung braucht.

Vier Handlungsfelder für gesunde Führung

Psychische Gesundheit entsteht nicht durch Einzelmaßnahmen, sondern durch eine Haltung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Diese vier Handlungsfelder zeigen, wie Führung wirksam zu einem gesunden Arbeitsumfeld beitragen kann – mit Klarheit, Vertrauen und Verantwortung.

1. Bewusstsein & Kommunikation – das Fundament schaffen
Offenheit und Dialog sind die Basis jeder gesunden Teamkultur.
Führungskräfte können entscheidend dazu beitragen, indem sie mentale Gesundheit sichtbar machen, das Schweigen brechen und Vertrauen fördern.

 Maßnahmen und Impulse
Kommunikation & KulturÜber mentale Gesundheit sprechen, Schweigen aufbrechen, Offenheit fördern.
Vertrauen & VertraulichkeitPsychische Themen dürfen angesprochen werden – ohne Stigmatisierung.
FührungskulturMenschlichkeit und Transparenz als Führungsinstrumente verstehen.

 

2. Wahrnehmung & Prävention – Warnsignale erkennen
Gesunde Führung bedeutet, Belastungen nicht erst zu bemerken, wenn sie sichtbar werden.
Regelmäßige Gespräche, ehrliche Rückmeldungen und eine wache Beobachtung helfen, Überforderung frühzeitig zu erkennen – bevor sie das Teamklima belastet.

 Maßnahmen und Impulse
FrühwarnsystemeRegelmäßige Gespräche, Klima-Checks, Signale ernst nehmen.
RollenklärungErwartungen offen benennen, Ambiguität reduzieren.
TeamdynamikKonflikte ansprechen, Feedback fördern, gemeinsame Verantwortung stärken.

 

3. Unterstützung & Rahmenbedingungen – Strukturen, die tragen
Neben Haltung braucht es Strukturen, die psychische Gesundheit im Alltag ermöglichen.
Klare Prioritäten, faire Ressourcenplanung und unterstützende Angebote bilden das Rückgrat nachhaltiger mentaler Gesundheit in Organisationen.

 Maßnahmen und Impulse
ArbeitsorganisationKlare Prioritäten, realistische Ziele, faire Ressourcenplanung.
Flexibilität & ErholungPausen ermöglichen, Homeoffice-Regeln prüfen, Erholungszeiten schützen.
UnterstützungsangeboteBetriebsärzte, psychologische Beratung, Employee Assistance Programme.

 

4. Lernen & Selbstführung – Haltung entwickeln
Gesunde Führung beginnt bei der eigenen Person.
Führungskräfte, die ihre Grenzen kennen, reflektieren und kontinuierlich lernen, schaffen Vertrauen – und werden zu authentischen Vorbildern.

 Maßnahmen und Impulse
SensibilisierungSchulungen, Workshops oder MHFA-Kurse für Führungskräfte und Teams.
SelbstfürsorgeEigene Belastungsgrenzen kennen und kommunizieren.
NachhaltigkeitMentale Gesundheit als dauerhafte Managementaufgabe verankern.

 

Fazit: Awareness ist Führungsaufgabe

Der World Mental Health Day erinnert uns daran: Psychische Gesundheit ist keine – Sie ist Teil einer verantwortungsvollen Führungskultur.
Awareness beginnt mit Haltung: dem Mut, hinzusehen, anzusprechen und Räume zu öffnen, in denen Menschen sich sicher fühlen, auch Unangenehmes zu teilen.

Führungskräfte, die das fördern, leisten weit mehr als Gesundheitsmanagement. Sie schaffen eine Basis für Vertrauen, Stabilität und echte Zusammenarbeit – und damit für das, was jedes Team stark macht: Menschen, die sich zeigen dürfen, wie sie sind.

 

Bleiben Sie auf dem Laufenden!
Collapse

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an und erfahren Sie exklusiv die nächsten Themen.

Jetzt anmelden

KF-mibeg-1273.jpg

Dr. Shermineh Shahi

Dr. Shermineh Shahi ist Institutsleiterin bei den mibeg-Instituten und verfügt über langjährige Erfahrung in der Entwicklung und Umsetzung beruflicher Weiterbildungen im Gesundheitswesen. Nach ihrer Promotion an der Universität Amsterdam in Biologie wechselte sie in die Bildungsarbeit und gestaltete als Seminarleiterin, Projektleiterin und heute als Leitungspersönlichkeit innovative Bildungsprogramme mit.

Mit einem akademischen Hintergrund und fundierter Forschungserfahrung verbindet sie analytisches Denken mit praxisorientierter Bildungsarbeit – immer mit dem Ziel, Wissen wirkungsvoll in berufliche Handlungskompetenz zu übersetzen.